ERZÄHLUNGEN ( VON HARALD LOCH)
Rafik Schami
Die Zunge der anderen
Der syrische Schriftsteiler über „Eine deutsche Leidenschaft namens Nudelsalat"

Lohnenswerter Blick von außen: Rafik Schami widmet sich mit leichter Hand den wichtigen

Dingen des Alltags.                                                                                  FOTO: DPA

Im Sommersemester 2010 hatte Rafik Schami die Brüder-Grimm-Professur der Universität Kasse! inne. Die Namensgeber dieses Lehrstuhls stehen für Deutsch bis an die Wurzeln und für die bedeutendste Sammlung von Märchen. Rafik Schami wurde 1946 in Damaskus geboren und lebt seit 40 Jahren in Deutschland. Sein Deutsch ist reich, sein Stil ist leicht, er erzählt wie eine Plaudertasche von den wichtigen Dingen des Alltags und auch von denen der Ewigkeit.
Manchmal wird er richtig „grimmig", wenn er, der sich sonst eher liebevoll den klischierten Eigenschaften seiner deutschen Mitbürger annimmt, über ein allerdings schon überholtes Lieblingsmitbringsel des eingeladenen Deutschen schreibt - den Nudelsalat. Oder wenn er in „Eine Leiche zuviel" drei Handwerker und einen Bauherrn über den erbärmlichen Pfusch beim Renovieren eines Hauses sterben lässt.
Auch nach vier Jahrzehnten
Gelungener lntegration ist sein Blick von außen eine für den Leser lohnende Perspektive: Rafik Schami sieht nach wie vorgenau hin, er kann noch immer staunen, bleibt neugierig und weckt Begeisterung für die west-östliche Vielfalt im

Lande seiner Wahl. Er stammt aus einer wohlhabenden christlich-arabischen Familie und erzählt berührend, wie er sich über eine von seinem Vater arrangierte Verheiratung hinwegsetzte und auch die Frau seiner Wahl heiratete -Enterbung Inbegriffen. Mit einer feinen Sonde kommt der in der Pfalz lebende Schami hinter den Lauf der Dinge und erzählt voller Humor und mit gut gesetzter Ironie, wie das Leben hierzulande so spielt. Als er - gerade neu in Deutschland - noch keinen Umgang mit dem Grimm'schen Wörterbuch hatte, wurde er von einem Gastgeber zum „Leichenschmaus" anlässlich des Todes einer Verwandten eingeladen.
Er badet dieses Wort heute genüsslich in seiner damaligen Unwissenheit und wird auch vom stillen Leser homerisches Gelächter ernten.
Sein Sprachgefühl lässt ihn sich im ersten Frankfurter Winter in das schöne deutsche Wort „Raureif" verlieben. Ständigverbessernden Germanistinnen gibt ein orientalischer Verehrer seiner Bücher Kontaktsperren auf Lebenszeit und manchmal gilt sein Mitgefühl den hierzulande „an den Umständen" Gestrauchelten aus dem Orient. Zieht man den hohen Unterhaltungswert dieser Geschichten ab, bleiben immer noch viel Augenmaß im Urteil, eine aktive, gestaltende Toleranz, ein Wohlbehagen im gemäßigten Anders-Sein und ein perfektes Zu-Hause in der deutschen Sprache.
Schami verrät auch, woher er - wie seinerzeit die Brüder Grimm - alle seine Geschichten hat: „Meine geheime Quelle ist die Zunge der anderen. Wer erzählen will, muss erst einmal lernen zuzuhören."
Rafik Schami:,, Eine deutsche Leidenschaft namens -- Nudelsalat --

 and andere seltsame Geschichten", dtv, 9,90 Euro

Neue Westfälische 29.05.2011